Das tibetische Grasland

September/Oktober 2016
 
   
die Baustelle

Sichuan, vier Ströme. So heißt die chinesische Provinz, die ich bereisen werde. Der Jangtse ist der größte und wasserreichste Fluss, der Sichuan durchquert und vor allem die West und Südgrenze der Provinz bildet. In Sichuan nimmt der Jangtse vier Nebenflüsse auf, den Min Jiang,Tuo Jiang, Jialing Jiang und Wu Jiang, die der Provinz den Namen gaben. Desweiteren gibt es zahlreiche riesige, reißende Flüsse, deren Namen ich bis dahin noch nie gehört hatte...

Die Radtour soll mich vom tibetischen Grasland am Gelben Fluss im Norden Sichuans bis zum Gongga Shan im südlichen Teil der Provinz führen.

Das tibetische Grasland

Die Reise beginnt mit einer 10-stündigen Busfahrt von Chengdu nach Ruo‘ErGai (Zoige), wo meine kleine Radtour beginnen soll. Es geht von 520 m Höhe auf 3400 m. Das Radel hat die Bushfahrt gut überlebt und hat auch nichts gekostet. Das Vorderrad musste ich ausbauen, dann hat alles gut in das Gepäckfach im Bus gepasst. Am Nachmittag beginnt es dann zu regnen und so mache ich den kurzen Spaziergang durch das Städtchen bei Nieselregen. Die Häuser sind im traditionellen Baustil mit verzierten Fensterramen, es gibt viele Restaurants und kleine Läden.

Am nächsten Morgen geht es los: Zur Akklimatisierung zum Glück eher flach, also zwischen 3400 m und 3800 m durch das tibetische Grasland. Der Himmel ist bewölkt, aber es regnet nicht. Sehr schön, denn Regen beim Radeln mag ich gar nicht. Erinnerungen an die Mongolei-Tour 1996 werden wach, das weite hügelige Grasland, die Nomadenzelte, die Tiere. Nur eins ist neu: Zäune. Zu meiner Enttäschung sind große Bereiche des Graslandes eingezäunt. Nun, auch das ist in vielen anderen von mir bereisten Ländern ähnlich, Namibia, Patagonien, Australien, USA… Dennoch fühle ich mich irgendwie ausgesperrt. Zum Trost ist die Straße neu geteert, lässt sich super fahren, und ich habe auch kaum Probleme mit der Höhe. Lediglich an den Steigungen bin ich entsprechend langsam.

Morgenstimmung im tibetischen Grasland.

Am frühen Nachmittag erreiche ich das Städtchen TangKe, am „Weißen Fluss“ gelegen, ein Nebenfluss des Gelben Flusses. Der "Weiße Fluss" ist träge, langsam fließend, stark mäandrierend. Nur wenige Kilometer entfernt mündet er in den Gelben Fluss, den Huang He. Ich brauche nichts, also fahre ich einfach durch und genieße wenig späte wieder das weite Grasland. Auf den Wiesen am Fluss sehe ich sogar einige Kraniche.

Auf einmal sehe ich in der Wiese hellblaue Punkte leuchten: Enziane! Daneben ganze Rasen mit Edelweiß! Und dazu noch einige andere Blumen. So schöne Blumenwiesen hätte ich jetzt Ende September gar nicht mehr erwartet. Am späteren Nachmittag baue ich mein Zelt dann in genau so einer Enzian-Edelweiß Wiese auf.

Für das Träumen in der Wiese bleibt jedoch keine Zeit, denn kaum steht das Zelt, beginnt es auch schon zu regnen. Der Regen geht nachts in Schnee über. Mitten in der Nacht muss ich raus und den schweren, nassen Schnee vom Zelt fegen, damit mir der Zeltstoff nicht mehr ins Gesicht hängt. Und das in meiner ersten Nacht…

Am nächsten Morgen, nur schlecht ausgeruht, erwartet mich gleich früh ein Anstieg von etwa 200 Höhenmetern. Was normalerweise kein Thema wäre, ist jetzt, nur so leidlich an die Höhe angepasst, eine Sache von einer Stunde, inclusive einer kurzen Schiebepassage. Der nächtliche Schnee war an meinem Zeltplatz morgens schon wieder getaut, aber hier auf 3800 m ist die Landschaft noch weiß. Ich bleibe nicht lange, ziehe nur eine winddichte Jacke über und mache mich an die Abfahrt. Kurze Zeit später ist die Landschaft wieder grün, und ich sehe auch wieder Kraniche am Fluss, sowie die Enziane und Edelweiß.

Gegen Mittag komme ich an einem Kloster vorbei. Ich lehne das Rad an die Mauer, um genauer zu schauen. Das Kloster macht einen gepflegten, aktiven Eindruck, auch wenn es eher klein ist. Einige Mönche kommen mir entgegen. Sie sind neugierig, denn Touristen mit dem Rad kommen ja wohl nicht so oft vorbei. Ein Mönch gibt mir kandierte Beeren, für die Reise.

Es geht immer weiter, bergauf, bergab, durch das weite Grasland. An das Wetter habe ich mich nun auch gewöhnt: Gegen Mittag reißt die Wolkendecke meist auf, und es wird für zwei bis drei Stunden richtig heiß. Dann, am späteren Nachmittag ziehen verdammt schnell Wolken auf, und wenn mein Zelt bis 16:30 nicht aufgebaut ist, muss ich es im Regen aufbauen. Nachts regnet es dann. Teilweise schüttet es so stark, dass einem Angst werden kann. Am nächsten Morgen ist es wieder trocken, der Himmel aber bis Mittag dicht bewölkt. Das Zelt muss ich immer nass einpacken, aber es trocknet nachmittags im Wind recht schnell, wenn ich es eben rechtzeitig vor dem abendlichen Regen aufgebaut habe. Geschneit hat es aber nicht noch einmal.

Das weite Grasland mit den trägen Flüssen.

So gelange ich schließlich nach Aba, nur noch auf 3300 m gelegen. Die Stadt ist religiöses Zentrum der Tibeter innerhalb dieses autonomen Bezirks. Im Ort und seinem Umland befinden sich 37 buddhistische Klöster, das größte davon ist das in Aba gelegene Gelugpa-Kloster Gerdeng mit etwa 2000 Mönchen. Bei den Unruhen in Tibet 2008 demonstrierten hier Tausende Einwohner, darunter zahlreiche Mönche. Chinesische Sicherheitskräfte sollen daraufhin laut Angaben von Exiltibetern Tränengas eingesetzt und ein Kloster umstellt haben. Mindestens acht Menschen seien dabei erschossen worden. Dementsprechend war der Bezirk Aba auch bis 2012 für Ausländer gesperrt. Im Moment ist von alldem nichts zu bemerken.

Ich schaue mir das Kloster nur kurz an, denn es soll heute noch weiter gehen: ich muss etwa 500 Höhenmeter wieder hoch, um über einen Pass in eine neues Tal nach Süden zu gelangen.

   
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