Das Glück als Staatsziel, das Glück auf dem Fahrradsattel

 
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Mongar

Die Nebelberge Ost-Bhutans

 

Im Laufe der Nacht beginnt es zu schneien und bis zum Morgen liegen etwa fünf Zentimeter weiße Pracht auf der Zeltplane. Ich sehe allerdings auch, dass sich die Sonne wieder durch die Wolken kämpft und packe deshalb frühzeitig wieder alle Ausrüstung zusammen. In einer Schneelandschaft bei grellem Sonnenschein und Nebelschwaden in den Tälern radle ich weiter nach oben. Kurve für Kurve geht es mühsam hoch. An vielen Abschnitten muss ich durch Schneematsch auf der Fahrbahnoberfläche fahren. Vom Vorder- und Hinterrad werde ich mit Dreckspritzern getroffen, die Packtaschen nehmen die Farbe der Fahrbahn an und zwischen den Zähnen beginnt es zu knirschen. Nur sehr wenige Fahrzeuge sind bis Mittag unterwegs. Es gibt ständig keine Fotostopps und Verschnaufpausen bis ich auf dem Thumsing La in 3763 Metern Höhe stehe. Der Schnee liegt hier oben noch dicker als am Straßenrand der letzten Kilometer, aber auf dieser Höhe arbeitet sich die Sonne schon sehr viel intensiver durch die Wolken und die gesamte Schneelandschaft taut.

Von den Tannenästen, den meterlangen Bartflechten, den verschneiten Gebetsfähnchen oder dem Tempeldach laufen unablässige Rinnsale von Schmelzwasser. Weiter im Osten scheint durch die Lage im Windschatten der Berge alles wolkenlos zu sein. Dort hat es also auch weniger oder gar nicht geschneit.

Nun habe ich auch die Distriktgrenze zu Mongar und damit zu Ost-Bhutan erreicht. Ich freue mich nicht nur auf die kommende Abfahrt mit dem Eintauchen in eine sehr viel sonnigere und wärmere Landschaft, sondern auch auf den kontinuierlichen Übergang von der verschneiten Nadelwaldzone bis hinunter in den tropischen Bereich am Kuri Chhu. Das Besondere an dieser Abfahrt ist auch, dass sie sehr lang und tief hinunter geht. Von 3763 Metern wird es auf 575 Meter gehen, somit fast 3200 Höhenmeter. Das Ganze auf einer sehr kurvigen Strecke von etwa 93 Kilometern. Es ist die wohl beeindruckendste Abfahrt des Landes.

Überall, wohin das Auge blickt, grüne Wälder und Dunstwolken, die aus den feuchten Gebieten emporstreben. Die Straße wird jetzt sehr eng, fast schon einspurig, und klebt förmlich an der Steilwand. Immer wieder gibt es überhängende Felsen auf der linken Seite und bodenlose Blicke ins tiefe Nichts auf der rechten Straßenseite. Die Fahrbahnoberfläche ist übersät mit tiefen Narben vom häufigen Steinschlag und Erdrutschen. Ich muss sehr vorsichtig bergab fahren, da immer wieder kleinere oder größere Hindernisse herumliegen. Außerdem drückt vom Tal eine Nebelschwade nach der anderen hoch und nimmt mir die freie Sicht auf den nächsten Straßenabschnitt. Manchmal gibt es nur 30 Meter Sichtweite. Eine schon sehr eigentümliche und mysteriöse Atmosphäre, in die ich da eintauche. Die engen Kurven erkenne ich zwar immer früh genug, aber bei den manchmal etwas höheren Geschwindigkeiten bekomme ich das Gefühl nicht los, dass da vor mir ein großer Straßenabbruch ist und ich einfach ins Nichts hineinfalle. Der Eindruck wird auch dadurch verstärkt, dass ich seit mehr als einer Stunde kein anderes Auto oder Menschen auf der Straße gesehen habe. Eine Straße am Ende der Welt.

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