Das Glück als Staatsziel, das Glück auf dem Fahrradsattel

 
Punakha  
Zhemgang

Es wird feucht-warm und steil

Nach einem kurzen Abstecher nach Gasa fahre ich zurück über Punakha nach Wangdue. Auf dem Weg nach Gasa bekam ich schon den ersten Kontakt mit subtropisch-feuchten Wäldern. Aber jetzt radle ich nach Süden in Richtung Indien. Es wird immer wärmer und feuchter. Die Temperaturen steigen im Laufe des Tages sogar noch bis auf 41 °C. Dazu eine subtropische Luftfeuchtigkeit. Fast jeder Bergbach entlang der Strecke wird zum Auffüllen der Wasserflasche und zum Befeuchten des Shirts genutzt.

Auf den fast 80 Kilometern, die ich nach Süden radle, durchfahre ich nur wenige Siedlungen. Hin und wieder gibt es kleine Verkaufsstände am Straßenrand mit frischem Obst, wie kleine Bananen, Mangos, Mandarinen oder Kakis. Ich ernähre mich tagsüber fast nur noch von Obst, Brot und Nüssen.

Makaken (Affen) laufen auf der Straße. Seit Wangdue geht die Fahrt tendenziell stetig talabwärts, teilweise sogar mit richtig schönen und kurvenreichen Abfahrten. Inzwischen bin ich im Distrikt Tsirang angekommen und stehe am Abzweig nach Dagana, ein Strecke über den sehr wenig bekannt ist. Schon nach wenigen Kilometern seit dem Abzweig stehe ich am bisher tiefsten Punkt meiner Radreise in nur 400 Metern Höhe, auf der Brücke über den Puna Tsang Chhu. Nun schraubt sich die merklich schmäler gewordene Straße wieder am Hang nach oben. Die subtropischen Bedingungen machen mich fix und fertig. So viel kann ich kaum noch trinken, wie ich gleichzeitig ausschwitze.

Dagana ist die bisher kleinste und unscheinbarste Distriktzentrale. Es gibt etwa 20 Häuser, die weiträumig am Hang verteilt sind. Oben auf dem Berg stehen der Dzong und einige kleine Wirtschaftsgebäude für das kleine Kloster, den lokalen Regierungssitz und das Distriktgericht. Es gibt ein einziges Hotel, welches auf die lokalen Gegebenheiten ausgerichtet ist. Ich bin wahrscheinlich der erste westliche Tourist in diesem Jahr. Aber das Abendessen ist gut und reichhaltig, die Familie, die das Hotel führt, ist nett und kümmert sich um alles. Dagana liegt relativ hoch oben in den Bergen und ist umgeben von vielen terrassierten Feldern und Einzelgehöften. In der Höhe von etwa 1500 Metern werden neben Reis auch Hirse, Bananen und Zitrusfrüchte angebaut. Die Gegend ist sehr grün – selbst jetzt im November. Wie üppig muss es hier erst im Frühjahr oder zur Monsunzeit sein? Am nächsten Tag wartet die grandiose Abfahrt hinunter zur Brücke auf 400 m auf mich. Fast die gesamte Strecke geht es in vielen Kurven bergab.


Auf gefährlichen Strecken im Süden

Am nächsten Vormittag quäle ich mich bei hohen Temperaturen um die 40 °C und subtropischer Luftfeuchtigkeit den Hang nach Damphu / Tsiwang hoch. Die Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa sechs Kilometer pro Stunde bedeuten mehr als drei Stunden Qual an diesem Hang. Das Trinkwasser in den Flaschen kann ich glücklicherweise unterwegs auffüllen. Die Mittagspause verbringe ich dösend im Schatten eines großen weißen tibetischen Stupa - mit Aussicht auf das tiefe Tal und die Brücke, über die ich einige Stunden zuvor kam. Wenigstens nimmt der Wind zu, je weiter ich am Hang hochfahre. Das kühlt und trocknet das nass geschwitzte Shirt. Ein Autofahrer hält an und fragt mich, ob ich denn schon ein Hotel in Tsiwang gebucht hätte. Er reicht mir ein Visitenkärtchen. Am Nachmittag erreiche ich Tsiwang. Plötzlich bin ich inmitten des Gewusels von Autos, vielen Menschen und vielen neuen Eindrücken. Das Hotel liegt etwas außerhalb der Siedlung in der Nähe des Klosters, das in Tsiwang nicht im Dzong untergebracht ist. Der Dzong ist neu erbaut worden, ebenso das Gerichtsgebäude und die Schule. Auch das Hotel hat die erste Saison geöffnet. Ich bekomme als einziger Gast das Zimmer mit Blick hinunter ins Tal und über den oberen Teil des Kleinstädtchens. Die Küche ist sehr schmackhaft und reichhaltig. Kaputt vom Bergfahren und dem vielen Essen sinke ich in mein Bett. Am Morgen führt mich der Besitzer zum Kloster hinter dem Hotel. Ich werde zu den Klosterschülern in den Klassenraum gebracht und darf dort zuschauen und fotografieren. In den abseits der Touristenpfade gelegenen Klöstern und Tempeln ist der seltene Gast aus dem Ausland noch etwas Exotisches und wird überall herumgeführt.

Gleich hinter dem Hotel geht es wieder bergab. Jetzt endlich komme ich hinunter nach Süd-Bhutan und in die tropische Tiefebene von Assam. Der Hotelbesitzer legte mir noch wärmstens ans Herz, ich solle dort nicht im Freien campieren oder mit Leuten an der Straße ins Gespräch kommen. Manchmal werden Bhutaner von Assam-Rebellen gekidnappt. Überall sei Militär und Polizei an der Strecke und passt auf. Außerdem soll ich nicht in der Nacht fahren, weil es dort nicht nur Tiger, sondern auch Wild-Elefanten gäbe. Überhaupt zweifelte er mein Durchkommen an und meinte, ich solle doch gleich mit dem Taxi bis Gelephu fahren. Na, da bin ich anderer Meinung.

Jedenfalls erfreue ich mich jetzt an der schnellen Schussfahrt und der immer exotischer werdenden Vegetation. Gold-Languren, eine langhaarige Affenart, hüpfen in den Bäumen neben der Straße. Ich sehe einen großen Hornvogel und zwischen den riesigen Farnblättern und Moospolstern knarzt und quakt ein Froschkonzert. Mehrere kleine Wasserfälle von den überhängenden Felsen klatschen auf die Fahrbahn – ideal für eine „Drive-in-Dusche“.

An der großen Brücke über den Sarbhang Khola kurz vor der Distriktzentrale Sarpang komme ich an den Checkpoint der Immigration Police. „Where is your guide?“ lautet die erste Frage. Na, und dann bekomme ich wieder die Empfehlungen, doch lieber das Taxi nach Gelephu zu nehmen. Außerdem meinten die Polizisten, ich würde die Strecke bis Gelephu nicht vor Einbruch der Dunkelheit schaffen. Ich beruhige die fürsorglichen Beamten damit, dass es auf meiner Landkarte doch nur etwa 35 Kilometer sind, das auf relativ flacher Strecke und es sei doch gerade erst Mittag. Sarpang ist eine Siedlung mit etwa 20 Häusern entlang der Straße – und schon bin ich auf der anderen Seite wieder draußen. Direkt neben dem rechten Straßenrand verläuft die Grenze zu Indien. Die Strecke ist flach und die Straße führt anfangs fast nur geradeaus. Manchmal gibt es kleine Siedlungen mit Steinhäusern oder Bambushütten. Ich sehe große Plantagen mit Betel-Palmen, tropische Fruchtbäume, bunt gekleidete Nepalesen und breithornige Büffel. Die ungewohnten Gerüche in der feuchtwarmen Luft sind etwas Neues für mich. Auch ist das Licht ein anderes als ich es aus dem Bergland in Erinnerung habe. Alles sieht aus wie ein komplett anderes Land. Mitten auf der Straße steht ein großer weißer Stupa – das alleine versichert mir, dass ich noch in Bhutan bin. Kurz vor Gelephu komme ich an der einzigen Whiskey-Destillerie Bhutans und am neuen Flugplatz vorbei. Dann erreiche ich das Provinz- und Grenzstädtchen Gelephu. Direkt neben dem kleinen Verkehrskreisel trillert ein Polizist mit seiner Pfeife herum, weil einige Auto- und Mopedfahrer die Einbahnstraße nicht respektieren möchten. Ich frage ihn nach einem geeigneten Hotel und finde dieses keine 100 Meter entfernt um die Straßenecke. Im angeschlossenen Restaurant bestelle ich eine große Portion Reis mit Gemüse und ein kühles Bier. Bei tropischen Temperaturen und Regen muss man dem ständigen Schwitzen entsprechend gegenarbeiten. Im Badezimmer wasche ich Shirts und Socken frei von Salz und Geruch.

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