Mittwoch 20:00 Uhr. Nach nunmehr
773 km erreichen wir das Städtchen Loudeac. Ein weiterer Tag
vergeht. Für die kommende Nachtetappe wollen wir so lange wie
möglich im Dämmerlicht fahren und gestalten die Pause nur
sehr kurz. Inzwischen schaffe ich einen voll beladenen Teller Nudeln
mit Gemüse, Soße und Käse in weniger als zwei Minuten.
Die Energiezufuhr ist also wieder geregelt. Dafür schmerzen inzwischen
Hinterteile und Handballen aufgrund der rauen Straßenoberflächen.
Die grobkörnige Oberfläche - mit unserem glatten Asphalt
nicht zu vergleichen - verlangt dem Körper und dem Fahrrad einiges
ab.
Donnerstag 01:00 Uhr. Tinteniac ist erreicht
und wir klappen vor Müdigkeit zusammen. Nach 859 km ist nichts
mehr im Körper, was die Schläfrigkeit verhindern kann. Wir
wanken ins Schlaflager und fallen in einen einstündigen Tiefschlaf.
Als wir wieder geweckt werden, wissen wir zuerst nicht mehr, wo wir
sind. Die Tageszeit, ja sogar der Wochentag verwischen mit zunehmender
Dauer der Belastung. Aber wir trösten uns mit dem Gedanken, dass
es bis Paris nur noch 370 km sind, also wahrscheinlich etwa 24 Stunden.
Donnerstag 07:00 Uhr. Ein orangeblauer Himmel
kündigt einen weiteren sonnigen Tag an. Wir haben wirklich Glück
mit dem Wetter. Soeben haben wir die Station in Fougeres verlassen
und fahren durch die offene Landschaft der Normandie. Große
Flächen Acker- oder Grünland, durchsetzt mit Hecken und
kleinen Dörfern charakterisieren diese alte Kulturlandschaft.
Allerdings sind die Wiesen braun und das Laub an den Bäumen welk.
Der extrem heiße Sommer hat auch hier seine Spuren hinterlassen.
Die hohen Ozonwerte in dieser landwirtschaftlich intensiv genutzten
Region belasten zunehmend unser Atmen. Das schnelle und intensive
Keuchen auf dem Fahrrad verstärkt die Reizungen auf der Zunge
und im Rachen zusätzlich. Waltraud bekommt erste Probleme mit
ihren Kniegelenken, die jedoch mit einer kontinuierliche Dosis Aspirin
in den Griff bekommen werden.
Donnerstag 12:00 Uhr. Die 1000 km und die
Station in Villaines la Juhel sind erreicht. Nur noch 230 km bis zum
Ziel. Jetzt erst mal eine gute Mittagsrast vor dem Schlusssprint.
Nicht unerwähnt bleiben darf die Begeisterung bei der entlang
der Strecke lebenden Bevölkerung. In den kleinen abseits der
Touristenpfade gelegenen Dörfern der Normandie und Bretagne passiert
das ganze Jahr über nicht viel. Wenn dann alle vier Jahre dieses
Rennen ausgetragen wird, sind die rennradfanatischen Franzosen nicht
mehr zu halten. Da werden kalte Getränke oder Kaffe angeboten,
wird laut Musik gespielt oder einfach mit dem Gartenschlauch auf die
verschwitzten Pedalritter gehalten. Das wird sich am dritten Tag unserer
Tortour als sehr angenehm erweisen, denn die einzelnen Verpflegungsstationen
liegen ca. 80 km auseinander und bei heißen Temperaturen reicht
der Inhalt der drei Trinkflaschen gerade so aus.
Donnerstag 22:00 Uhr. Inzwischen sind wir
über 3 Tage unterwegs und ein Ende ist absehbar. Die letzte Versorgungsstation
in Nogent le Roi ist erreicht. Wir kämpfen mit allen möglichen
Schmerzen. Waltrauds Rachenraum ist so wund, dass ihr das Schlucken
fester Nahrung heftige Schmerzen bereitet. Meine Fußballen und
die Nagelbetten der großen Zehen sind wund. Selbst eine Kühlsalbe
hilft nichts mehr. Der Sattel ist zwar nach 1167 km noch immer angenehm,
aber die Sitzbacken sind ebenfalls wundgescheuert. Der grobe Asphalt
erschüttert die Hände so stark, dass Teile der Finger taub
sind. Obwohl es nur noch ca. 60 km bis zum Ziel sind, gönnen
wir uns eine Pause. Die letzte Etappe wartet mit einigen Anstiegen
auf uns.
Freitag 01:45 Uhr. Die Außenbezirke
von Paris sind erreicht. Um die Uhrzeit steht niemand mehr entlang
der Straßen und jubelt. Die Dunkelheit weicht allmählich
der Straßenbeleuchtung der Stadtautobahn. Die Nacht ist nun
unser Vorteil: wir fahren die letzten 10 km auf der leeren Stadtautobahn,
statt den parallelen Radweg zu benutzen. Die Ampeln sind ausgeschaltet
und die Kreisverkehre nicht verstopft. Wir rasen zügig unserem
Ziel entgegen.
Freitag 02:15 Uhr. Nach 78 Stunden und 1230
km sind wir glücklich aber total erschöpft am Ziel im Pariser
Stadtteil Saint Quentin en Yvelines angekommen. Die Magnetkarten werden
durch die Lesegeräte gezogen, das Kontrollheftchen abgegeben
und die 3 km zum Campingplatz gemächlich zurück gerollt.
Wir kennen nur noch eine Sache: Schlafen. |